Schönheit in der Kunst – ist das überhaupt möglich? Univ.-Prof. Dr. Karl Brunner, ehemaliger Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung und Autor des Buches „Was ist Schönheit?“ hat so seine Zweifel.
Sie behaupten, die historischen Grundlagen von Schönheit seien ein Skandal, weil Schönheit zumeist im Umfeld von Macht zu finden sei. Womit hängt es zusammen, dass üble Gesellen wie Renaissance-Fürsten die schönsten Kunstwerke in Auftrag gaben?
Univ.-Prof. Dr. Karl Brunner: Die Auftraggeber waren hochgebildet, ihr Anspruch extrem hoch. Diese Fürsten setzten sich an die Stelle Gottes – sie schufen die Ordnung, auch in den Bereichen der Kunst und der Musik.
Wenn sie etwas taten, dann auf allerhöchstem Niveau. Die beauftragten Künstler wurden sehr gut bezahlt und hatten ihre eigene Moral. Der Schönheitsbegriff war damals von der Antike geprägt und man versuchte, den antiken Herrscher in nichts nachzustehen. Dennoch gab es einen Wandel in der Kunst: Vergleichen Sie eine antike Statue mit einer Skulptur von Michelangelo – Sie werden einen Unterschied bemerken.
Sie sagen, Schönheit sei niemals statisch. Hat beispielsweise der Goldene Schnitt keine berechtigte Grundlage, um als Maßstab herangezogen zu werden?
Wir dürfen niemals vergessen, dass Kunst immer über Schönheit hinaus geht und natürlich über reine Proportionalität. Bei den ganz großen Kunstwerken wird man immer auch das „gewisse Etwas“ finden. Schönheit ohne Kontrast, ohne Störung, ohne Konfrontation mit Disharmonie ist nicht möglich. Die reine Proportionalität des Goldenen Schnittes macht Schönheit nicht aus. Ich brauche den Bruch, ich brauche die Dynamik. Ein schönes Kunstwerk spricht mit mir, es tritt mit mir in Kommunikation und ich mit ihm – und dafür ist ein Anstoß nötig. Sehen Sie sich Kunst oder Design genau an: Wenn etwas nur die richtigen Proportionen hat, wird es nicht begeistern. Perfektion ist in jeder Hinsicht langweilig.
Sie regen an, die Definitionsmacht von Experten wie zum Beispiel Museumsleitern, zu hinterfragen. Warum?
Ich kenne einige Experten, Direktoren und Kuratoren der bedeutendsten Häuser, sie behaupten von sich zu wissen, was Schönheit sei und so handeln sie auch. Sie sind absolut immun gegen andere Meinungen.
Ich bin davon überzeugt, dass der Qualitätsbegriff in der Kunst zum Teil eine sehr künstliche Angelegenheit ist. Das gilt nicht nur für die bildende Kunst sondern auch für die Dichtkunst. Viele Germanisten nehmen keine Rücksicht auf die Rezeptoren. Unser Bildungssystem ist nicht darauf ausgerichtet, auf Augenhöhe mit Experten zu kommunizieren.
Was hat Kreativität mit Schönheit zu tun?
Das ist die Preisfrage schlechthin. Ich möchte diese Frage nicht beantworten, sondern eine Gegenfrage stellen: Ist dies nicht eine wichtige Frage, die sich jeder Künstler ständig selbst stellen muss?
Welches Kunstwerk ist für Sie schön?
Ich bin mit Impressionisten und Expressionisten aufgewachsen, habe aber inzwischen keine bevorzugte Epoche oder Kunstrichtung mehr. Manche Kunstwerke sprechen mich an, manche weniger. Für meine Generation ist Guernica von Picasso ein Jahrhundertwerk, ich habe mich aber nie gefragt, ob das Bild schön ist.
Würden Sie mir beipflichten: Alles ist relativ.
Ja, alles. Und alles ist aufeinander bezogen. Das gilt auch für die Schönheit.